Christiane Vielhaber

DIETER KRAEMER Ist es nicht absurd, über Bilder zu schreiben, die im Grunde keiner Erklärung bedürfen? Ist es vielleicht nur der Eitelkeit eines Schreibers zuzuschreiben, sich mit schönen Formulierungen selbst zu feiern oder gar mit verstiegenen Interpretationen einen an sich klaren Sachverhalt wieder nur künstlich zu verunklaren?

 

Die Bilder von Dieter Kraemer bedürfen in der Tat keiner Beschreibung. Das, was auf ihnen dargestellt wird, eine Ziegelmauer mit einer Toreinfahrt, ein Bund Spargel, ein Broccoli-Strunk oder eine Komposition aus Koffer und Hut, ist nichts weiter als das, was es darstellt und was für jedermann sichtbar ist. Mit gestelzter Intellektualität oder kunsthistorischer Analyse ginge nun wirklich der Blick auf das verloren, was diese Malerei auszeichnet, nämlich ihre akademische Meisterschaft und Magie der Realität. Darf nicht aber ein Vorwort auch nur eine bloße Würdigung sein?

 

An diesem Künstler und seinem Werk ist vieles zu würdigen, vor allem die Konsequenz, unabhängig von allen marktbedingten Trends an der ihm adäquaten künstlerischen Ausdrucksweise festzuhaken. Es ist dies keine Frage des Nicht-anders-Könnens sondern des Wollens und der eigenen künstlerischen Standortbestimmung. (Nur wer an den Fortschritt in der Kunst glaubt, mag dies für einen Anachronismus halten!) Ich rede hier bewußt von marktbedingten Trends, denn die Bilder von Dieter Kraemer sind nicht zeitlos sondern, stärker als es vielleicht ein Werkabschnitt losgelöst aus dem Gesamtschaffen zu verdeutlichen imstande ist, eminent gesellschaftsbezogen und -bedingt.

 

Dieter Kraemer begann seine Karriere als sog. kritischer Realist der Berliner Schule. Seine Themen bezog er vornehmlich aus der Welt der Arbeit und der Straße. Die Tristesse-Stimmung mancher Bilder konnte ohne Zweifel als kritischer Spiegel der Trostlosigkeit alltäglicher Lebens- und Arbeitsbedingungen verstanden werden. Sie hatte aber nichts Anklägerisches sondern war nur eine künstlerische Bestandsaufnahme der Wirklichkeit, besser: eines Ausschnitts von ihr. In dem Bild vom ,,Rheinufer“, das vor zwei Jahren entstand, ist noch ein Nachhall dieser frühen Bilder zu spüren, aber der Realismus ist malerischer aufgelöst und die Palette verhaltener. Das gilt auch für seine Stilleben. In ihnen äußert sich ebenfalls Gesellschaftsbezogenheit, denn die Aufbruchstimmung der späten 60er und frühen 70er Jahre, die vor allem draußen auf der Straße bemerkbar war, ist längst einem Rückzug in die Privatheit gewichen. Auch der Künstler (und Mensch!) Dieter Kraemer hat diesen Rückzug in die Welt des Ateliers angetreten. Geblieben aber ist er das, was er immer war: ein stiller Beobachter.

 

Seine Bilder sind keine Berichte sondern Schilderungen aus dem alltäglichen Leben. Mit künstlerischer Präzision und akribischer Freude am Detail Iäßt er in seinem Werk Wirklichkeit sichtbar werden. Dies aber nicht als fotografisch getreue Wiedergabe von Dingen und Situationen mit bloßem Abbildcharakter, sondern als stillebenhafte Komposition, die die Kraft besitzt, über die gelassene Dinghaftigkeit des Dargestellten hinaus, auf etwas außerhalb Liegendes zu verweisen. Der Künstler will dem Betrachter kein Weltbild aufzwingen. Vielmehr begnügt er sich damit, und sehr genüßlich wie es scheint, Ausschnitte aus der Wirklichkeit seiner Welt, wie sie sich ihm offenbart, mit malerischen Mitteln darzustellen. Das hat zuweilen auch anekdotischen Charakter. Ein immer wiederkehrendes Thema seiner Bilder ist die Intimität des Ateliers mit all den Pinseln, Flaschen mit Tinkturen und Malutensilien. Brot und Wein, Teller, Tassen und Gläser verweisen darauf, daß er dort nicht nur arbeitet sondern auch lebt. Was ihn an den Dingen besonders fasziniert, sind die Oberflächen und ihre spezifische Stofflichkeit. Das ,,Stilleben mit Sardine und Brot" ist diesbezüglich von ganz besonderer wahrhaft stofflicher Delikatesse und vermittelt zudem durch das ungewöhnliche Format das Bild einer sich in Ruhe ausbreitenden Unordnung der Dinge. Damit steht er ganz in der Tradition barocker Stillebenmalerei, und wie die alten Meister versieht auch er seine ruhigen Arrangements mit kleinen Störfaktoren, wie z. B. einer Fliege, einem Krümel oder einer Zigarettenkippe.

 

Die Nischenbilder zitieren ganz bewußt und meisterhaft die Tradition der Trompe I'oeil-Malerei, die Komposition mit dem Totenschädel greift das wohl berühmteste Vanitasmotiv der Kunstgeschichte auf. Daß Dieter Kraemer sich nicht ,,flegelhaft“ und schamlos aus dem Fundus der Stillebenmalerei bedient, sondern nur lustvoll sein Brot-und-Maus-Spiel mit ihrem Vorhandensein und seiner originären Fähigkeit zur Adaption treibt, beweist seine „Hommage an Georg Flegel". Christiane Vielhaber Herbst 1990